Bodo Gaßmann
Die Negation der praktischen Vernunft
als Negation der kritischen Theorie
Ein Kommentar zu dem Kant-Modell
„Freiheit. Zur Metakritik der praktischen Vernunft“
aus der „Negativen Dialektik“ von Adorno
Schriten des Dialektikvereins zu
Problemen der Ethik 4
ISBN 978-3-929245-19-6; 280 S.; Paperback; Preis: 18,00 €
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Abstrakt
Ohne Zweifel hat Adorno das geistige Klima von der frühen Bundesrepublik bis heute durch seine Gesellschaftskritik geprägt. Während die einen seine Kritische Theorie als „unverantwortlich“, weil nicht staatstragend, verteufelten, wurde er von anderen unkritisch affirmiert. Was aber viele Interpreten vereint, ist seine Aversion gegen Ethik und Moral. Diese wird in ihrer kantischen Gestalt mit Herrschaft gleichgesetzt. Adorno unterscheidet aber nicht zwischen Moral als ideelle Existenzbedingung der herrschenden Klasse und der Vernunftmoral, die allgemein gilt und deshalb kritisch zur Herrschaft, die immer partikular ist, steht. Deshalb folgt aus der Vernunftmoral die Pflicht, die Kapitalökonomie abzuschaffen.
Moral hat einen schlechten Ruf, auch unter denen, die es besser wissen könnten. Da sie in der Gesellschaft als Vernunftmoral nicht durchgängig gelebt werden kann, auch als Ideologie missbraucht wird, negieren sie kritische Intellektuelle. Sie können sich dabei auf Adorno berufen. Doch durch die historische Entwicklung der Philosophie wird diese autonom gegenüber den bestehenden Verhältnissen, kann sich dadurch auch kritisch gegen diese stellen. Adorno schleift diese Autonomie – gegen seine kritische Intention –, indem er Philosopheme naturalisiert und soziologisiert. Deshalb geht ihm das normative Fundament seiner Theorie verloren.
In dem Kant-Modell aus seinem Hauptwerk „Negative Dialektik“ dekonstruiert Adorno die praktische Vernunft und negiert jede begründete Moral. Stattdessen bindet er das Handeln an einen naturalistischen Impuls oder an das Gefühl des Mitleids. Das aber sind von Kant abgelehnte Gründe des Handelns, weil sie nicht allgemein gelten können, auch wenn bei ihm – entgegen einer interessegeleiteten Fehldeutung – moralische Gefühle als reflektierte nicht verworfen werden.
Der Autor dieses Kommentars ist der Auffassung, dass auch die theoretischen Grundlagen des ethischen Nihilismus von Adorno reflektiert und kritisiert werden müssen, um eine gründliche Erörterung dieser Position zu ermöglichen. Dabei werden Begriffe wie „Versöhnung“, „Nichtidentisches“, „Konstellation“ und die Rolle des „Tauschprinzips“ am avancierten Stand der Vernunft überprüft, ohne seine Leistung als Kritiker zu schmälern. Adornos Tendenz, rationales Denken über den Begriff Identifikation mit Herrschaft zu konfundieren, ist nicht akzeptabel, auch wenn Adorno die Vernunft, relativistisch gebunden an die historische Epoche, nicht völlig ablehnt.
Inhalt
Die Negation der praktischen Vernunft
als Negation der kritischen Theorie
Ein Kommentar zu dem Kant-Modell
„Freiheit. Zur Metakritik der praktischen Vernunft“
aus der „Negativen Dialektik“ von Adorno
1. Einleitung 6
Zum Voraus: mein Impuls zu dieser Schrift 6
1.1. Meine Erfahrungen mit Adornos Schriften 6
1.2. Zum Begriff des Kommentars 9
2. Die philosophischen Voraussetzungen von Adorno 12
2.1. Adornos Erfahrungen und seine Philosophie 12
2.2. Kritik an der Bedeutung des „Tauschprinzips“ bei Adorno 16
2.3. Adornos Verquickung von Herrschaft mit Vernunft 21
2.4. „Naturalisierter Kantianismus“ 24
2.5. Die Abwertung der menschlichen Vernunft als „Konsequenzlogik“ 30
Eine Anmerkung zum Begriff der Identität bei Adorno 33
2.6. Bestimmte Negation – gegen Adorno 34
2.6.1. Zur Logik der bestimmten Negation 34
2.6.2. Bestimmte Negation am Beispiel der Kategorie „Werden“ bei Hegel 38
2.6.3. Der kategorische Imperativ als Resultat der bestimmten Negation bei Kant 39
2.7. Adornos Kritik der Philosophie und seine Verquickung von reiner Vernunft
mit soziologischen, psychologischen und naturalen Bestimmungen am
Beispiel der Freiheit 42
2.8. Die Naturalisierung, Soziologisierung und Historisierung der
Transzendentalphilosophie durch Adorno 46
2.9. Über moralische Wahrheit 56
3. Zur philosophischen Reflexion von Adorno 58
3.1. Zum Begriff negative Dialektik und Adornos Variante 58
Eine Anmerkung zum Begriff „Ontologie des falschen Zustandes“ 63
3.2. Adornos Kritik der systematischen Argumentation 64
3.3. Über das Nichtidentische 67
3.4. Kritik am Begriff des Nichtidentischen bei Adorno 70
3.5. Der Begriff der Konstellation und die Grenzen seiner Anwendung 75
4. Der Maßstab von Adornos Kritischer Theorie 82
4.1. Der Begriff der Versöhnung 82
4.2. Kritik am Begriff Versöhnung in Bezug auf die Moral 85
5. Adornos Negation der Ethik und Moral 88
5.1. Zum empiristischen Umgang Adornos mit den ethischen Texten von Kant 88
5.2. Die praktische Vernunft bei Kant und deren Negation durch Adorno 92
5.3 Zum Problem der Willensfreiheit bei Adorno 97
5.4. Adornos Interpretation des intelligiblen Charakters der Kausalität
des Willens 105
Eine Anmerkung zu Adornos Rettung des Intelligiblen als negative Metaphysik 115
5.5. Die Antinomie der Freiheit bei Kant in Adornos Auslegung 117
5.6. Der Begriff des freien Willens und der Freiheit im
gesellschaftlichen Kontext 120
5.7. Adornos Negation des Sittengesetzes von Kant 126
Adornos eigener „kategorischer Imperativ“ als bloß hypothetischer 126
5.8. Adornos abstrakte Negation der Ethik und Moral überhaupt 132
5.9. Zum moralischen Impuls 138
5.10. Zur „Konsequenzlogik“ in der Ethik 142
5.11. Gefühlsmoral als Mitleid 144
Die Negation der Vernunftmoral als Negation der kritischen Theorie 147
5.12. Die zweite Gestalt des kategorischen Imperativs – Ethik positiv 148
5.13. „Autonomie“ 151
5.14. Gewissen bei Adorno 153
5.15. Adiaphora 157
5.16. Die Bestimmung des Menschen bei Adorno 161
Der Begriff „Persönlichkeit“ bei Adorno und sein Vorwurf des Platonismus 165
6. Zur Beurteilung von Adornos Reflexionen zur Ethik 166
Zusammenfassung meiner Kritik an Adorno / Theorie und Praxis / Weitere Aporien in Adornos Moralreflexion / Zeitkern ohne Überzeitliches / Die Wendung zur Affirmation bei Habermas / Kritik von Links / Die Aporien Adornos und die Realisierung der Vernunft
Exkurse
1. Exkurs: Kritik des historischen Relativismus in der
kritischen Theorie 185
1. Die Metaphysik des Relativismus / 2. Der historische Relativismus / 3. Kritik des marxschen historischen Relativismus / Marx implizite Selbstkritik / 4. Der historische Relativismus von Lukàcs in „Geschichte und Klassenbewusstsein“ (196)/ Das Proletariat / Kritik an der Erkenntnis als Veränderung / Kritik am historischen Relativismus von Lukàcs / 5. Horkheimer (207)/ 6. Korsch / 7. Adorno (210)/ 8. Abschließende Kritik am historischen Relativismus (214)
2. Exkurs: Interessegeleitete Vorurteile gegen die kantische
Moralphilosophie 218
3. Exkurs: Von der Notwendigkeit der Vernunftmoral in jeder
emanzipatorischen Bewegung 230
1. Moral oder pragmatisches Handeln? / 2. Partikularmoral oder Universalmoral? / 3. Kurzfristige oder langfristige Interessen / 4. Die Notwendigkeit des Apriori der Vernunftmoral / 5. Das Argument der Autonomie (242)/ 6. Moral in der Antike und im Kapitalismus / 7. Der Kapitalismus als System fordert apriorische Kritik / 8. Vernunftmoral im Kapitalismus schon im Hier und Jetzt? /9. Die heutigen Bedingungen der Moralität (250)/ 10. Der freie Wille / 11. Vernunftmoral verlangt Freiwilligkeit und entsprechende Gesinnung / 12. Moral und Sozialismus / 13. Solidarität / 14. Von der Pflicht zur ethischen und moralischen Bildung (263)
Anmerkungen 266
Literatur 271
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